WK - Achimer Kurier 08. Juni 2015
Weser Kurier / Achimer Kurier - 08.Juni 2015:
Kleine Heldentaten
Manchmal ist eine einzige Sekunde viel wichtiger als ein ganzes Spiel
Von Malte Bürger
Der Schuss kommt hart, der Ball zischt förmlich durch die Luft. Ganz leicht touchiert er noch den Innenpfosten und findet dann den Weg ins Netz. Daniel streckt sich vergebens. Wieder drin. Der junge Torhüter liegt auf dem Bauch vor seinem Kasten, Arme und Beine verharren ausgestreckt einen Moment lang regungslos auf dem Boden. Das Gesicht gräbt sich in den Rasen, ein tiefer Atmer ist zu hören. Für die aufmunternden Worte von der Seitenlinie hat er zumindest in diesen Sekundenbruchteilen kein Gehör. Doch dann rappelt sich der Schlussmann auf, stemmt die Hände in die Hüften, dreht sich um und grinst : „Ich war so nah dran.“
Dass seine Mannschaft dieses Spiel verlieren wird – geschenkt. Es ist ihm anzumerken: Er freut sich einfach, dass er bei diesem Turnier, dem 2. Special Euro Championship des TSV Achim, dabei sein kann. Dass er ein Handicap hat und nur deshalb überhaupt bei dieser Veranstaltung mitspielt, interessiert nicht. Warum auch? Viel wichtiger: Um ihn herum schwirren illustre Namen wie der FC Barcelona, Hapoel Tel Aviv oder FC Chelsea umher. Da schlägt das Herz automatisch ein bisschen schneller. „Das ist ganz schön aufregend“, gesteht er. Bei diesen großen Namen scheinen Gegentreffer aber natürlich garantiert. Egal. „Ich habe bislang nur 15 Tore kassiert“, jubelt der Jungspund und strahlt noch einmal ein bisschen mehr, während er sich direkt wieder für seinen nächsten Einsatz fertig macht.
Der junge Mann hat nicht gerade Gardemaß für einen Torhüter. Auch auf dem Kleinfeld nicht. Seine Hose ist etwas zu lang geraten und endet weit über den Knien, auch in die Handschuhe dürfte er in naher Zukunft erst noch so richtig reinwachsen. Warum er dennoch im Tor steht? Weil er fliegen kann. Der Ball kann noch so unerreichbar durch die Luft sausen, der kleine Keeper setzt zum Sprung an. Und verhindert mit der einen oder anderen Parade weitere Treffer. Und dann kommt es wieder: dieses glückselige Lachen auf seinem Gesicht.
Wenige Meter weiter geht es James nicht anders. Er trägt dieses berühmte blaue Trikot des FC Chelsea aus London. Viel besser noch: Seinen rechten Arm ziert eine schwarze Kapitänsbinde, das prägnante C für Captain strahlt in hellem weiß – und wenig später mit seinem Träger um die Wette. Im Mittelfeld erhält der junge Engländer den Ball und leitet ihn direkt mit einem ganz coolen Hackentrick zu einem Teamkollegen weiter. Sein Trainer fasst sich ungläubig an den Kopf, die Zuschauer raunen anerkennend. James ist fast ein bisschen erschrocken, schaut sich erst einmal ängstlich um, ehe er realisiert hat, dass die Geräuschkulisse ihm galt. Und plötzlich ist das Spiel Nebensache. James bleibt stehen, dreht sich zu seinem Coach um und schickt von einem wunderbaren englischen Akzent begleitet den Satz „Na, nicht schlecht, oder?!“ auf die Reise.
Im Lager des FC Barcelona herrscht derweil ohnehin ausgelassene Stimmung. Das eigene Ü18-Turnier ist ein voller Erfolg, und dann ist da ja auch noch das Champions-League-Finale in Berlin, dass die etwas berühmteren Kollegen gegen Juventus Turin für sich entschieden. Singend und tanzend ziehen die gehandicapten Katalanen zwei Tage lang über die Anlage am Freibad, sorgen so für eine ausgelassene Atmosphäre und erobern die Herzen der gegnerischen Teams mit ihrer offenen Art im Sturm. Alberto Ruiz, der in Achim ein bekanntes Gesicht auf den Trainerbänken ist, fungiert in dieser Zeit als Dolmetscher, damit die Spanier auch wirklich einen angenehmen Aufenthalt in der Weserstadt haben. „Die Jungs sind so glücklich, dass sie hier sein können. Für sie ist es das erste Mal überhaupt, dass sie von zu Hause weg sind“, sagt Ruiz. Unmittelbar vor ihm läuft einer der Barca-Spieler, auf seinem Rücken glänzt die prominente Nummer zehn. Alfonso heißt der junge Mann, der in dem Shirt steckt. Er ist sich der Bedeutung der beiden goldenen Ziffern bewusst: „Ich bin Messi“ sagt er. Eine Portion Stolz schwingt in seiner Stimme mit, aber auch eine Prise Demut. „Dass sind ihre Idole“, sagt Alberto Ruiz, „sie wissen, dass sie sich gut verhalten müssen, um diesen Namen und den Rückennummern gerecht zu werden“. Das gelingt den Iberern spielend – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit schönen Kombinationen und tollen Dribblings kreieren sie ihre Chancen, wie bei allen anderen Teams dürfen aber natürlich auch die ganz großen Gesten bei Verletzungen, Niederlagen oder Torerfolgen nicht fehlen. Die Vorbilder aus dem Fernsehen haben halt ihre Wirkung auch dieses Mal nicht verfehlt. Und wie an jedem anderen Wochenende im Jahr steht die ganz große Fußballbühne halt manchmal eben auch in Achim – ob nun in der Kreisklasse, der Oberliga oder halt beim 2. Special Euro Championship. Alles ganz normal eben.
Quelle: www.weser-kurier.de